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f+h fördern und heben 10/2016

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FLURFÖRDERZEUGE

FLURFÖRDERZEUGE Automatisierung schafft Zugang zu Industrie 4.0 Nachbericht zur Hamburger Staplertagung 2016 an der Helmut-Schmidt-Universität Sabine Vogel Anfang Juli 2016 zog es Experten aus der Flurförderzeugbranche und weitere Interessierte erneut an die Elbe. Auf der 11. Hamburger Staplertagung dominierte die Automatisierung in all ihren Facetten. Aber auch aktuelle Forschungsprojekte, das interaktive Zusammenspiel von Mensch und Maschine, weiterentwickelte mechanische Komponenten sowie das Thema Sicherheit kamen nicht zu kurz. Sabine Vogel ist freie Fachjournalistin, Dortmund Der Forderung nach zunehmender Automatisierung und Vernetzung dürfen und wollen sich auch die Hersteller von Flurförderzeugen nicht verschließen. Grundsätzlich Neuland betritt man dabei jedoch nicht. Wie Dr. Klaus-Dieter Rosenbach, Vorstand Logistiksysteme bei der Jungheinrich AG, Hamburg, in seinem Einführungsvortrag betonte, hätten viele Elemente von Industrie 4.0 bereits vor Jahrzehnten Einzug in die Praxis gehalten. Gleichwohl sei noch einiges zu leisten, wie Peter Dibbern, Leiter Grundlagenentwicklung, ebenfalls Jungheinrich AG, im Pressegespräch betonte. Man werde den Industrie-4.0-Gedanken weiterentwickeln und dabei vor allem auch die Kommunikation zwischen Mensch und Maschine weiter verbessern. Wenngleich derzeit nicht so im Fokus stehend, jedoch nicht minder anspruchsvoll, sei das Thema Sicherheit. „Daran müssen wir arbeiten und werden es“, so Dibbern. Spezialisierte Flurförderzeuge werden populärer Prof. Dr.-Ing. Karl-Heinz Wehking, Leiter des Instituts für Fördertechnik und Logistik an der Universität Stuttgart, stellte den rd. 180 Teilnehmern das Gemeinschaftsforschungsprojekt Arena 2036 (Active Research Environment for the Next Generation of Automobiles) vor. Bis zum Jahr 2036, dem 150-jährigen Jubiläum des Automobils, sollen neue Anwendungen auf dem eigens eingerichteten Campus sukzessive implementiert und so der Weg für den Automobilbau der Zukunft bereitet werden. Im Zuge dessen werden die Ergebnisse der Entwicklungs- und Konstruktionsforschung in der „Forschungsfabrik“ praktisch erprobt. Ob die Aktivitäten in die richtige Richtung laufen, werde sich jedoch erst in einigen Jahren zeigen. Sicher ist nach Einschätzung Wehkings bereits heute, dass Flurförderzeuge herkömmlicher Bauart in den Montagewerken der Zukunft keine Rolle mehr spielen. Stattdessen werde das Bild geprägt sein von spezialisierten fahrerlosen Transportfahrzeugen. Eine staplerfreie Produktion ist nach Ansicht von Dr. Günter Ullrich, Leiter der Interessengemeinschaft Forum-FTS, Voerde, gar nicht mehr so fern. Vielmehr habe aus seiner Sicht der manuell bediente Gabelstapler seine beste Zeit bereits hinter sich. 28 f+h 10/2016

FLURFÖRDERZEUGE Auch die in der Automobilproduktion geschätzten Routenzüge würden von kleinen, fahrerlosen Unterfahrtransportfahrzeugen verdrängt. „Schluss mit dem Chaos – auspacken, einschalten, loslegen!“, so die Vision des FTS-Experten. In letzter Konsequenz werden fahrerlose Transportsysteme als „Big-Data-Lieferant für Industrie 4.0“ fungieren. Die große Herausforderung bestünde darin, das damit einhergehende, extrem steigende Datenvolumen zu managen. Ullrich appelliert daher an die Hersteller, ihre IT-Kompetenzen und auch die Kapazitäten im Bereich der Softwareentwicklung drastisch zu stärken. Autonomes Fahren umgesetzt Christian Fischer und Volker Viereck, beide Still GmbH, Hamburg, zeigten in einer Videosequenz, wie der autonom fahrende Niederhub-Kommissionierer iGo neo CX 20 dem Mitarbeiter auf Schritt und Tritt folgt, ohne explizite Fahrbefehle zu erhalten. „Der Weg bis zur Realisierung des iGo neo war ebenso lang wie beschwerlich“, waren sich Fischer und Viereck einig. Elf Jahre Erfahrung in der Robotik – seit Vorstellung des ersten autonomen Gabelstaplers im Jahr 2005 – hätten gezeigt, wie wichtig die Sensorik sei. „Wir partizipieren von dieser Entwicklung“, betonte Viereck. Dr. Stefan Wenzel, Director Electrics/Eletronics Integration Projects von der Kion Group AG, Wiesbaden, fokussierte in seinem Vortrag Wirtschaftlichkeits- und Sicherheitsaspekte beim Einsatz von Lithium-Ionen-Batterien. Trotz zahlreicher, inzwischen auch weitläufig bekannter Vorteile habe sich diese Technologie im Bereich der Elektrogegengewichtsstapler bislang nicht durchsetzen können. Nach wie vor herrsche Skepsis. Anspruch von Kion sei es, genau das zu ändern. So gab Wenzel Einblick in umfangreiche Gefährdungsanalysen und zeigte zudem anhand von Berechnungen auf, dass der Einsatz von Lithium- Ionen-Batterien bereits heute bei etwa der „Eine zukünftige Automobilproduktion ohne Takt und Band erfordert weitere Innovationsleistungen im Bereich der Intralogistik sowie völlig neuartige, zusätzliche Ladungsträger“ Prof. Dr.-Ing. Karl-Heinz Wehking, Leiter des Instituts für Fördertechnik und Logistik (IFT), Universität Stuttgart Hälfte aller Anwendungen in Elektrogegengewichtsstaplern wirtschaftlicher ist, als bei Bleisäurebatterien. Sicherheit war das Thema von Dr. Anatoly Sherman, Business Unit Manager 3D compact Systems bei der Sick AG, Waldkirch: „Erfahrungsgemäß passieren Unfälle, bei denen Personen von Flurförderzeugen angefahren werden, im Allgemeinen dann, wenn sich das Gerät in Rückwärtsbewegung befindet.“ Weil Fahrer u. U. vier bis fünf Stunden am Stück ihre Arbeit verrichten, seien Aufmerksamkeitsdefizite unvermeidlich. Hier setzt der Hersteller mit Assistenzsystemen an, die in privaten Pkw vielfach schon gebräuchlich sind, bei Staplern jedoch noch nicht zur Standardausrüstung gehören. Die vorgestellten Lösungen basieren auf 3D-Technologie, erkennen Hindernisse in der Umgebung und warnen den Fahrer in kritischen Situationen durch akustische und optische Signale. Spezielle Algorithmen filtern irrelevante Informationen aus der Umgebung heraus, etwa Bodenunebenheiten innerhalb einer Halle oder Bordsteine im Außenbereich. Das System funktioniere laut Sherman wie gut trainierte Augen. Vor dem Hintergrund seien Beeinträchtigungen bei Starkregen oder Schnee folglich nicht auszuschließen. Sicherheit und Effizienz steigern In der Sequenz „Wissenschaft / Forschung“ skizzierte Sergey Stepanyuk vom Lehrstuhl für Maschinenelemente und Technische „Angesichts zunehmend kleinerer Ladeeinheiten müssen wir unsere Vorstellungen von Flurförderzeugen erweitern – und zwar in Richtung miniaturisierter fahrerloser Transportsysteme“ Prof. Dr.-Ing. Rainer Bruns, Leiter des Lehrstuhls für Maschinenelemente und Technische Logistik (MTL), Helmut-Schmidt-Universität, Hamburg Logistik der Helmut-Schmidt-Universität Hamburg den Stand der Untersuchungen zur Verringerung des Eigengewichts von Gegengewichtsstaplern. Das Ziel ist ein daraus resultierender verringerter Energieverbrauch, ohne dass dies zu Lasten der Standfestigkeit geht. Björn Eilert, Abteilungsleiter Produktionsautomatisierung am Institut für Integrierte Produktion Hannover (IPH), berichtete über Forschungsarbeiten zur interaktiven Steuerung von fahrerlosen Transportsystemen. Anspruch sei es, die Maschine in der Art zu befähigen, dass sie die natürliche Kommunikation des Menschen per Sprache und Gestik versteht. Im Vortragsblock zum Thema „Mechanische Komponenten“ zeigte Tim de Witte von Camso Inc., Ghent (Belgien), Optimierungspotenzial bei Super-Elastic (SE)-Reifen auf. Nun sei es gelungen, durch Eingriffe bei der Reifen- und Felgengeometrie sowie der Gummiwerkstoffe die Seitensteifigkeit, Tragfähigkeit sowie den Rollwiderstand bei verringertem Materialeinsatz weiter zu verbessern. Im letzten Vortrag des Tages stellte Dr. Susanne Frohriep, Development Engineer Ergonomics, ein neu konzipiertes Sitzkonzept der Grammer AG, Amberg, vor. Diese Lösung, eine Kombination der Dualmotion-Funktion mit Drehmechanik, soll sowohl den Kurz- als auch den Langzeitkomfort für Fahrer von mobilen Arbeitsmaschinen erhöhen – vor allem beim Rückwärtsfahren. Der Nutzfahrzeugsitz verringere Ermüdungserscheinungen und leiste einen wichtigen Beitrag zur Gesunderhaltung von Nacken und Wirbelsäule. Damit schloss sich die Vortragsreihe der 11. Hamburger Staplertagung. Voraussichtlich im Juni 2018 findet die 12. Tagung statt – ebenfalls wieder an der Helmut-Schmidt- Universität in Hamburg. Fotos: Helmut-Schmidt-Universität, Hamburg www.staplertagung.de f+h 10/2016 29