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f+h fördern und heben 6/2021

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f+h fördern und heben 6/2021

PRODUKTE UND SYSTEME

PRODUKTE UND SYSTEME AUTOMOBILPRODUKTION: FTS AUF DER ÜBERHOLSPUR Die Fertigung von Premium-Fahrzeugen ist deutlich wirtschaftlicher, wenn die bisher dominierenden starren Fertigungsstraßen durch Fahrerlose Transportsysteme (FTS) ersetzt werden. Nach einer aktuellen Studie kann sich für den Autohersteller die Investition in FTS schon nach rund einem Jahr amortisieren. „At the end of the line“ ist der Titel der Studie, die vom Fraunhofer-Institut für Optronik, Systemtechnik und Bildauswertung (IOSB) und der Managementberatung Strategy& erstellt wurde [1]. Eine Kernthese: Wenn hochwertige, individualisierte Fahrzeuge gefertigt werden, sind FTS deutlich günstiger als stationäre Förder- und Produktionstechnik. Die Gründe dafür liegen auf der Hand. FTS bieten eine höhere Flexibilität in der täglichen Produktion und bei Modellwechseln. Im Tagesgeschäft ermöglichen sie die wirtschaftliche Fertigung von individualisierten Fahrzeugen. Die Taktrate lässt sich anpassen, außerdem können einzelne Fahrerlose Transportfahrzeuge (FTF) „ausscheren“, damit an Einzelstationen Sonderausstattungen montiert werden. Allein diese Flexibilisierung bringt schon so große Kostenvorteile, dass sich die Investition in dieses Konzept in einem überschaubaren Zeitraum von etwa einem Jahr amortisieren kann. Dabei ist die Flexibilität bei Modellwechseln noch gar nicht berücksichtigt: Es müssen nicht – wie bisher – komplette Fertigungslinien demontiert und durch neue ersetzt werden. Die Aufnahmen vorhandener FTS werden versetzt und die Routen und Taktzeiten neu programmiert. Diese Merkmale treffen z. B. für die „Vision E“-FTF von dpm Daum + Partner zu, die für die Endmontage in der Kfz-Produktion entwickelt wurden: Die komplette „Hardware“ lässt sich weiterhin verwenden, wenn ein neues Fahrzeugmodell produziert wird. FÜHRENDE AUTOMOBILHERSTELLER MACHEN ES VOR Mehrere Automobilhersteller haben diese Vorteile nicht nur erkannt, sondern in ihren Modellfabriken auch schon praktisch umgesetzt. Eines der aktuell modernsten und innovativsten Beispiele für die Autoproduktion ist die Factory 56 von Mercedes-Benz in Sindelfingen. Hier werden unterschiedliche Fahrzeuge auf der gleichen Linie produziert. In ausgewählten Bereichen übernehmen FTS von dpm den Materialfluss. Beim Karosserietransport in einigen Bereichen der Halle kommen „Vision E“-FTF zum Einsatz. 01 Blick in die Factory 56 von Mercedes-Benz in Sindelfingen. Eine Pkw-Karosse fährt auf einem „Vision E-FTF“ von dpm Daum + Partner in eine Roboterzelle ein 01 14 f+h 2021/06 www.foerdern-und-heben.de

LINAK.DE 02 03 Arbeiten im Fließbetrieb rund um das Fahrzeug und Mitfahren auf dem FTF im Fließbetrieb. Die Aufnahmen wurden im Rahmen der Taycan-Fabrikeröffnung im September 2019 gemacht Einfaches Setup spart Zeit und Nerven Softstart, Softstop, Endlage programmieren – mit der BusLink Software geht das alles im Handumdrehen. Einfach den Antrieb mit dem PC verbinden. Ein weiteres Beispiel für eine der weltweit modernsten Produktionsstätten von Premium-(Elektro-) Fahrzeugen ist die vollständig neu geplante und gebaute Taycan-Fertigung von Porsche in Stuttgart-Zuffenhausen. Zwei Fahrerlose Transportsysteme übernehmen hier zentrale Transportaufgaben in der Endmontage: ein FTS für die Montage der Karosserie, ein weiteres für die Komplettierung des Fahrzeugs nach der „Hochzeit“ der Karosserie mit Chassis und Antriebsstrang. FTF-MISCHBETRIEB MIT FLIESS- UND TAKTMONTAGE Grundsätzlich können die FTF von dpm im Mischbetrieb fahren. Fließ- und Taktmontage finden dann abwechselnd statt. Beim „Vision E“ sind Montagearbeiten am Fahrzeug auch im Fließbetrieb, d. h. während der Fahrt rund um das FTF, möglich. Dementsprechend lassen sich die Fahrzeuge stets optimal an die Anforderungen des jeweiligen Streckenabschnitts anpassen: Sie fahren langsam im Fluss, halten für bestimmte Montagezwecke an und auf Schnellfahrwegen beschleunigen sie. Die zu montierenden Fahrzeuge sind bei den Vormontage-FTF und beim Karosserietransport von allen Seiten gut zugänglich. FTF für Montagearbeiten am Komplettfahrzeug lassen sich auch als Plattformfahrzeuge ausführen, auf denen die Werker mitfahren. Die Fahrgeschwindigkeit der FTS lässt sich dabei an den jeweiligen Betriebsmodus anpassen. Die „Vision E-FTF“, die bis zu drei Tonnen schwere Lasten transportieren, verfahren im Montageprozess mit Geschwindigkeiten von 0,7 bis 20 m/min. Bei Bedarf können sie aber auch ein Tempo von bis zu 90 m/min erreichen. Die aktuelle Position der FTF wird anhand von DMC-Codes und der Fahrzeuggeschwindigkeit vom Leitsystem errechnet, das entsprechende Befehle an die FTF ausgibt. Sicherheits-Laserscanner, die das Umfeld abtasten, schaffen die Voraussetzungen für Personensicherheit. Das Laden der Batterien geschieht während der Ruhe- bzw. Montagezeiten über Kontaktplatten am Hallenboden. FTS AUCH BEI DER MODULFERTIGUNG UND VORMONTAGE Der Einsatz von FTS sorgt nicht nur in der (End-)Montage kompletter Fahrzeuge für eine höhere Flexibilität und Effizienz. Auch in der Pkw-Vormontage übernehmen FTS zunehmend den Transport von größeren Baugruppen – z. B. von Integralträgern oder Motoren. Die FTF lassen sich hier mit speziell dafür angefertigten dreh- oder höhenverstellbaren Werkstückträgern ausstatten, die eine ergonomische Montage von Anbauteilen erlauben. Und sie können sogar stockwerkübergreifend arbeiten: In einem aktuellen Projekt hat dpm rund 70 FTF für die Motorenmontage projektiert und geliefert. Der Fertigungsdurchlauf findet auf drei Ebenen statt, die Fahrzeuge orientieren sich per Slam-Navigation und gelangen mit einem Aufzug von Etage zu Etage. UND IN ZUKUNFT? Die beschriebenen FTS-Anwendungen werden sich in den kommenden Jahren noch weiter flexibilisieren lassen – z. B. durch FTS-Flotten, die sich weitgehend selbst organisieren. Vor allem bei höherwertigen Pkw wird der Individualisierungsgrad noch steigen. Und hier, so die Studie von Strategy& und Fraunhofer IOSB, ist die FTS-gestützte Montage im Vergleich zur starren Fertigung einfach das bessere, weil flexiblere und wirtschaftlichere, Konzept. Literaturhinweis: [1] N. N.: „At the end of the line – How automakers can embrace flexible production“. Studie von Strategy& und dem Fraunhofer-Institut für Optronik, Systemtechnik und Bildauswertung (IOSB). Februar 2021 Autor: Gerald Scheffels ist freier Journalist, Wuppertal Fotos: Aufmacherfoto dpm Daum + Partner, 01 Mercedes-Benz, 02, 03 Dr. Ing. h.c. F. Porsche 12-48 Volt CAN open IO-Link www.daumundpartner.de