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f+h fördern und heben 7-8/2020

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DIGITALE ZWILLINGE IN

DIGITALE ZWILLINGE IN DER LOGISTIK – SPEZIALISTEN STATT ALLROUNDER Um beim Auf- oder Umbau von Anlagen den laufenden Betrieb möglichst wenig zu beeinflussen, unterstützen virtuelle Nachbildungen des Logistiksystems bei Planung und Vorabtests. Im Zusammenhang mit Industrie 4.0 spricht man gerne vom digitalen Zwilling. Doch, lassen sich komplexe Logistikanlagen zum jetzigen Zeitpunkt bereits digital in nur einem einzigen Modell so nachbilden, dass sie zur Visualisierung, Planung, Simulation sowie zum Softwaretest, zur Mitarbeiterschulung, als Leitstand und zur Betriebsunterstützung dienen können? Die Erstellung eines umfassenden digitalen Zwillings für eine individuelle Industrieanlage ist nach aktuellen Erfahrungen wirtschaftlich noch nicht vertretbar. Für einzelne Projektphasen gibt es bereits gute Ansätze. Andere Branchen sind dagegen schon viel weiter. Für die Baubranche steht z. B. das BIM (Building Information Modelling) zur Verfügung. Selbst bei komplexen Bauprojekten fließen hier alle Informationen aus verschiedenen Gewerken zusammen. Dennoch wird der digitale Zwilling in der Logistikpraxis im Rahmen der heutigen Möglichkeiten schon eingesetzt: So setzt der Systemintegrator Unitechnik auf mehrere „Spezialzwillinge“ statt einem Alleskönner und nutzt verschiedene Modellvarianten während der Planung und Realisierung einer Logistikanlage. VR-MODELL FÜR DIE VERTRIEBS- UND PLANUNGSPHASE Zunächst wird das Logistiksystem, bestehend aus Lager, Fördertechnik, Arbeitsplätzen und Maschinen, über ein CAD-Programm konstruiert. Wenn die Planung einen gewissen Reifegrad hat, lohnt 16 f+h 2020/07-08 www.foerdern-und-heben.de

PERSPEKTIVEN 01 Das Virtual-Reality-Modell ermöglicht es, den geplanten Lageraufbau via VR-Brille erlebbar zu machen 02 Um den Programmierern bereits vor der Montage ein Testszenario zur Verfügung zu stellen, kommt eine Emulation des physischen Systems zum Einsatz es sich die CAD-Zeichnung in ein Virtual-Reality-Modell (VR-Modell) zu überführen. Dadurch erhält der Betreiber einen realitätsnahen respektive räumlichen Eindruck von der Logistikanlage. Er steht virtuell in seiner neuen Halle und kann diesen imaginären Raum „begehen“, statt von außen nur auf ein theoretisches, zweidimensionales Lagerlayout zu schauen. In einem zweiten Schritt lassen sich Förderer virtuell in Bewegung setzen und Arbeitsplätze interaktiv gestalten. In der animierten Lagerumgebung können z. B. Kommissionierstationen realitätsnah und interaktiv abgebildet werden. „Das Virtual-Reality-Modell ermöglicht es uns, den geplanten Lageraufbau mithilfe von VR- Brillen für den Betreiber erlebbar zu machen“, erläutert Michael Huhn, Vertriebsleiter und Prokurist der Unitechnik Systems GmbH. Mitarbeiter könnten ihren zukünftigen Arbeitsplatz ausprobieren und Hinweise für dessen Optimierung geben. Durch den Einsatz des digitalen Zwillings ließen sich Gefahrenpotentiale frühzeitig ausschließen und die Ergonomie der Arbeitsplätze verbessern. Im nächsten Planungsschritt lässt sich die Leistungsfähigkeit eines Entwurfs überprüfen. Ermöglicht wird das durch die Simulation der Anlage. Dabei ist die grafische Ausarbeitung der geplanten Anlage zweitrangig − diese ist vielfach noch rudimentär respektive schematisch. Viel entscheidender ist die Frage: Wie lange braucht ein Ladungsträger, um in der geplanten Anlage von A nach B zu gelangen? Hier bietet die Simulation die Möglichkeit die Szenarien für alle möglichen Start- und Endpunkte entlang der Materialflusskette zu testen. Im nächsten Schritt wird das Modell schließlich mit einem angenommenen Auftragsmix versorgt. So lässt sich die Leistungsfähigkeit eines Layouts messen. Die in diesem Prozess identifizierten Engpässe können bereits in der Planungsphase korrigiert werden. EMULATOR ALS TESTUMGEBUNG FÜR DIE SOFTWAREENTWICKLUNG Sobald das grundlegende Layout der Anlage steht und die Gewerke ausgewählt sind, startet die Emulation, die den Programmierern bereits vor der physischen Montage ein Testszenario zur Verfügung stellt. So kann die Software in einem frühen Projektstadium geschrieben und die Steuerung ohne Maschine und Fördertechnik geprüft werden. Um die Steuerungssoftware zu testen, muss jeder Sensor und jeder Motor im Modell abgebildet sein. Die Steuerungssoftware erweckt den Emulator quasi zum Leben. Ist das Modell steuerungstechnisch komplett, lassen sich auch Materialflussrechner und Lagerverwaltungssystem mithilfe der Simulation testen. Am Ende bilden der Emulator, die Steuerungssoftware und die IT-Systeme einen funktionalen digitalen Zwilling, der sich genauso „verhält“ wie die reale Anlage. Indem der digitale Zwilling unterschiedliche Szenarien in umfangreichen Vorabtests visualisiert, werden Risiken wie Produktionsausfälle oder Anlagenstillstände minimiert. Testweise erhält das System z. B. vom Lagerverwaltungssystem einen Fahrauftrag. Im virtuellen Logistikzentrum setzt sich daraufhin das Regalbediengerät in Bewegung und nimmt die Ware auf. Die Fördertechnik transportiert die Palette in Richtung Kommissionierplatz. Neben dem Materialflussprozess simuliert der Emulator auch das Verhalten der Menschen, die an der Anlage arbeiten. Über die Visualisierung auf dem Monitor sind diese Bewegungen live nachvollziehbar. „Das ist so, als ob man durch ein Fenster in die reale Anlage blickt“, beschreibt Huhn das Erscheinungsbild. Optimierun- www.foerdern-und-heben.de f+h 2020/07-08 17