PERSPEKTIVEN SERIE PROJEKTMANAGEMENT IN INTRALOGISTIKPROJEKTEN – TEIL V SO WERDEN AUCH KOMPLEXE PROJEKTE EIN ERFOLG Nachdem wir uns in den bisherigen Teilen der Serie mit strategischer Planung, Projekt-Setup und Kommunikation beschäftigt haben, lenken wir nun die Aufmerksamkeit auf Problemstellungen während des Ramp-up oder Go-Live. Wir geben Tipps, was man tun kann, um Engpässe möglichst zu vermeiden oder zu beheben. Während der Go-Live-Phase eines Logistikprojekts, also im Ramp-up der Leistungsmengen, wird man auch bei noch so guter Vorbereitung unter Umständen auf zwei Problemstellungen treffen, die eine gut strukturierte Bearbeitung erfordern: n Engpässe (Bottlenecks) innerhalb des Prozessdurchlaufs, deren Bearbeitung zu neuen, nachgelagerten Engpässen führt, und n Workarounds für nicht funktionsfähige Prozessteile. Diese sind in der Startphase oftmals unumgänglich, sollten jedoch im Laufe des Projekts dann wieder zurückgebaut werden. ENGPÄSSE TROTZ INTENSIVER TESTS Komplexe Logistik-Projekte, wirken sich in der Regel auf angrenzende Unternehmensbereiche und -prozesse aus. Während der Go-Live-Phase lassen sich Schwächen in der Abwicklung bei steigender Last kaum vermeiden – auch bei noch so guten vorherigen Tests. Oftmals werden Tests zunächst mit geringer Last und bezogen auf den Standardprozess durchgeführt. Dieses Vorgehen ist im Rahmen eines Testplans eine übliche und sinnvolle Methode, da
SERIE PERSPEKTIVEN auf diese Art eine erste Schwachstellenanalyse möglich ist. Beim darauffolgenden Leistungs- und Lasttest betrachtet man dann vielfach separat einzelne technische Systeme, um die technisch vereinbarte Spezifikation zu bestätigen und damit auch die Abnahmebedingungen für den Lieferanten zu erfüllen. Der komplette Prozess wird dabei oftmals zwar vollständig durchgespielt, das Verhalten unter Last ist jedoch in der Regel nicht ausreichend prüfbar. Im Rahmen der Tests wird zudem üblicherweise mit exemplarischen Artikeln gearbeitet, teilweise übernehmen sogar Kartonagen oder Leerartikel die Rolle der Testobjekte. Dadurch werden produktbedingte prozessuale Schwierigkeiten an dieser Stelle des Tests unter Umständen nicht erkannt. Bei „Ware zum Mann“-Systemen können sich die reinen Prozessdurchlaufzeiten von den benötigten physischen Durchlaufzeiten aber erheblich unterscheiden. So spielen – hauptsächlich dann, wenn der Mensch ins Spiel kommt – die Gewichte der Artikel, deren Sperrigkeit und auch die Anzahl der Einzelgriffe eine für die Prozesszeiten wichtige Rolle. Auch, und vor allem in der Betrachtung über einen längeren Arbeitszeitraum zum Beispiel eine Schicht hinweg. Tücken des Bottlenecks: n Engpässe im Prozess treten erst nach und nach zutage, n ein Bottleneck ergibt sich oftmals überraschend, das heißt ab einem bestimmten Punkt kippt die Systemlast und dieser Überlauf wiederum wirkt sich ungünstig auf Vor- und Folgeprozesse aus, und n meistens entwickeln sich Engpässe entlang des ganzen Prozesses – sie treten in den ersten Prozessschritten auf und ziehen sich dann durch alle nachgelagerten Schritte. VERMEIDUNGSSTRATEGIEN Verschiedene Methoden zu betrachten, lohnt sich auf jeden Fall, da man sich so bereits weit vor dem Produktivstart mit potenziellen Problembereichen intensiv auseinandersetzen muss. So lassen sich Engpässe schon im Vorfeld konkret und schematisch erkennen und beheben. Beispiel: Sieht man im Design eines Packplatzes, dass die Artikeleigenschaften (Gewicht, Sperrigkeit etc.) zu Leistungseinbußen führen, ist dies auch auf Prozesse im Wareneingang und/oder in der Kommissionierung übertragbar. TESTEN IST DIE HALBE MIETE – SIMULATION UND SCHULUNG DER REST Um Engpässe zu vermeiden, sollten die Testszenarien die zukünftige Systemlast erst einmal realistisch punktuell simulieren und abbilden. Im Anschluss daran folgt dann die Simulation von kompletten Abläufen und Systemkomponenten. Zuletzt sollte eine ausführliche Schulung der Mitarbeiter stattfinden und ein geeigneter Ressourcenpuffer eingeplant werden. Gewöhnlich ist der Testplan in Stufen aufgebaut. Zunächst werden die einzelnen Bestandteile der Technik- und Prozesskette physisch und systemtechnisch separat geprüft. Anschließend werden Teilabläufe zusammengefasst und im einfachen Durchlauf auf Fehler untersucht. Schließlich wird dann der komplette Prozess zusammengefügt und getestet. Wichtig: Vielfach sind (Teil-)Prozesse nur unzureichend dokumentiert und ausschließlich in den Köpfen der Mitarbeiter gespeichert. Dieses „Biowissen“ sollte unbedingt während der Testphase integriert werden. Am Ende der Testreihen steht die Freigabe durch alle am Test beteiligten Unternehmensbereiche. Die Freigabe sollte nur dann geschehen, wenn die Tests ohne schwerwiegende Fehler auch in Seiten- und Ausnahmeprozessen erfolgreich absolviert wurden. SIMULATION ONLINE UND OFFLINE Am Markt sind zahlreiche Anbieter von Prozesssimulationen vertreten, mit immer besseren Simulationsmethoden, zum Beispiel für den Warenfluss und die Arbeitsplätze. Aus den für das Projekt gewonnenen Bewegungsdaten lassen sich Simulationsmodelle ableiten, die (auch visualisiert) Lasttage aus der Vergangenheit abbilden und mit denen man durch gleichmäßige Steigerung des Outputs die Engpässe erkennen kann. Diese sind zum einen abhängig von der Systemleistung zum Beispiel der Automatiksysteme (die durch die Ausschreibungsunterlagen eindeutig definiert und damit gut planbar sind). Zum anderen sind Engpässe aber auch von der einzelnen Arbeitsplatz- und Mitarbeiterleistung determiniert. In der Simulation lässt sich ermitteln, welcher Output mit der geplanten Systemleistung realisierbar ist, und – noch wichtiger – welche Mindestleistung jeder Teil des Prozesses inklusive der manuellen Arbeitsplätze erbringen muss, um eine geforderte Systemleistung sicherzustellen. Dieser Leistungswert dient als Referenzwert, gegen den die physische Arbeitsplatzleistung geprüft werden kann. Für die Arbeitsplatzsimulation bestehen interessante Möglichkeiten durch Virtual Reality. In elektronischen Modellen lassen sich Arbeitsplätze ergonomisch gestalten, Bewegungsabläufe simulieren und Anordnungen prüfen und anpassen. SCHULUNG UND RESSOURCENPLANUNG Zuletzt sind in der Vorbereitung zum Produktivstart die Mitarbeiter umfassend zu schulen. In der Praxis bewährt hat sich das Key- User-Konzept: Hier werden Mitarbeiter mit guten prozessualen sowie IT-technischen Kenntnissen umfangreich geschult. Bestenfalls übernehmen diese Mitarbeiter auch eine aktive Rolle im Projekt, sodass sie sich mit den Gegebenheiten und Neuerungen im Prozess vertraut machen können. Sie nehmen die Rolle des First-Level-Supports zum Produktivstart ein und sollten daher zum Start nicht „produktiv“ verplant werden. Die Hauptaufgabe dieser Mitarbeiter besteht in der Unterstützung ihrer Kollegen, der Aufnahme von Fehlern und prozessualen Schwierigkeiten und der weiteren Qualifizierung des Lagerpersonals im Prozess. Mitarbeiter, die sich in den Schulungen und Tests schnell in die neuen Abläufe einfinden, können darüber hinaus für mehrere Arbeitsplatzbereiche qualifiziert werden. Hierdurch kann in der Besetzung von Engpassprozessen flexibel reagiert und diese durch einen erhöhten Ressourceneinsatz abgemildert und aufgefangen werden. AUSBLICK Aus den geschilderten Sachverhalten sowie den üblichen Startschwierigkeiten im Ramp-up entwickeln sich in vielen Fällen temporär Workaround-Prozesse. Mit deren Notwendigkeit sowie der unbedingten Rückführung im Rahmen der Stabilisierung von Prozessen beschäftigt sich der kommende Teil der Serie. Autoren: Stephanie Janz und Markus Irmler, Inhaber Econsio GbR, Frankfurt Foto: Econsio www.econsio.de KONTROLLVERLUST UND ENGPÄSSE DURCH INTENSIVES TESTEN UND SIMULATIONS MODELLE MINIMIEREN www.foerdern-und-heben.de f+h 2023/11 47
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