FORSCHUNG UND ENTWICKLUNG aktionen auf die Technologie. Allerdings hatten die Forscher zuvor mit dem Betriebsrat gesprochen und einige Spielregeln festgelegt. Um die Rechte der Arbeiter zu schützen, wird kein Video aufgezeichnet – stattdessen wird das Kamerabild in Echtzeit ausgewertet und gar nicht erst gespeichert. Zusätzlich sind bei der Ausgabe des Kamerabildes auf dem Bildschirm keine Gesichter zu erkennen, angezeigt wird nur der Körperumriss und eine überlagerte Darstellung der detektierten Gliedmaßen. Die erstellte Bewertung bezieht sich zudem ausschließlich auf die Ergonomie, nicht auf das individuelle Arbeitstempo. Generell werden nur die Bewegungen in Echtzeit analysiert und keine Videodaten gespeichert. Somit wird keine Erfassung von mitarbeiterspezifischen Daten ermöglicht, die z. B. mit der individuellen Arbeitsgeschwindigkeit in Verbindung gebracht werden könnten. KRITISCHE BEWEGUNGEN AUTOMATISIERT ERKENNEN Ziel der Bewertung ist es, Arbeitsplätze ergonomischer zu gestalten. Das kommt direkt den Mitarbeitern zugute und schützt sie z. B. vor Rückenschmerzen. Die Datengrundlage liefern die 3D-Kamera und die dazugehörige Skeletterkennungssoftware. Sie erfasst in Echtzeit die Position von Kopf und Nacken, Schultern und Oberarmen, Rücken und Beinen und erkennt z. B., wie oft der Werker den Kopf senkt, den Rücken krümmt, sich hinkniet und in welchem Winkel er seine Arme ausstreckt. Das Innovative am Workcam-System ist die Software zur Ergonomiebewertung mit ihrer zugrundeliegenden Bewertungsmetrik, welche die Forscher für den Anwendungsfall der kamerabasierten Ergonomiebewertung entwickelt haben. Die Bewertungsmetrik nutzt dieselben Normen und Richtlinien, die auch Ergonomiefachleute in Unternehmen nutzen, nämlich internationale Normen zur Ergonomie sowie die DIN-Norm zur Bewertung von Körperhaltungen und Bewegungen bei der Arbeit an Maschinen. In diesen Dokumenten ist genau festgelegt, welche Bewegungen in welcher Häufigkeit ein Gesundheitsrisiko sein können. Die Software erfasst drei Parameter, um eine Bewegung zu beschreiben: Welche 02 Skeletterkennung in verschiedenen Körperhaltungen 70 f+h 2020/03 www.foerdern-und-heben.de
FORSCHUNG UND ENTWICKLUNG Gliedmaßen werden bewegt? In welchem Winkel werden sie bewegt? Und wie häufig wird die Bewegung durchgeführt? Jeder Parameterkombination ist in der Metrik ein entsprechenden Punktwert zugeordnet. Ganz vereinfacht ausgedrückt: Je häufiger und ausladender die Bewegung, desto größer das Gesundheitsrisiko und desto höher die Punktzahl. Auf diese Weise ist die Bewertungsmetrik in der Lage, kritische Bewegungen zu erkennen und passende Handlungsempfehlungen zu geben. Unerheblich ist dabei die Art der Montage-Tätigkeit. Ob ein Mitarbeiter Leiterplatten lötet und mit gesenktem Kopf und krummen Rücken an seinem Arbeitsplatz sitzt oder ob ein Flugzeugmechaniker unter dem Rumpf steht, den Kopf in den Nacken legt und die Arme nach oben ausstreckt: Beide Tätigkeiten sind nicht besonders ergonomisch, und beide könnten am Ende dieselbe kritische Punktzahl erhalten. Unterschiedlich sind nur die Handlungsempfehlungen, die die Software anschließend gibt, um die Ergonomie am Arbeitsplatz zu verbessern. Das Kamerasystem lässt sich somit an jedem stationären Arbeitsplatz einsetzen, der gut einsehbar ist. Die Kamera sollte dabei so nah wie möglich und so weit entfernt wie nötig platziert werden, um den Werker und seine direkte Arbeitsumgebung vollständig zu erfassen. In Tests hat die Kamera einen Bereich von etwa drei mal drei Metern erfasst. Während der Ergonomiebewertung sollten sich in diesem Bereich keine weiteren Personen aufhalten, da das Kamerasystem immer nur eine Person erkennen und deren Bewegungen auswerten kann. Kalibriert werden muss die Kamera nicht. Es kann aber hilfreich sein, die Umgebung ein wenig vorzubereiten. Bei Tests haben die Forscher festgestellt, dass die Kamera mit Gegenlicht relativ gut umgehen kann; problematisch waren jedoch spiegelnde Flächen im Hintergrund, z. B. Metallschränke. Auch die Kleidung der Werker spielt eine Rolle: Tragen sie weiße Kittel, kann das Kamera system sie schlecht erfassen, während Blaumänner keine Probleme bereiten. WEITERE FORSCHUNG NÖTIG Im Projekt Workcam haben IPH und IFA einen Demonstrator entwickelt, der zeigt, dass die digitale Ergonomiebewertung möglich ist. Bis zur Marktreife ist es allerdings noch ein langer Weg. Die Bewegungserkennung durch die Software blieb in Teilen hinter den Erwartungen zurück – hier stießen die Wissenschaftler an die Grenzen der eingekauften Kameratechnik und Skeletterkennungssoftware. Zudem konnte mit dem rein optischen System nicht erfasst werden, welche Lasten ein Arbeiter hebt, obwohl auch das bei der Ergonomie am Arbeitsplatz eine wichtige Rolle spielt. Das IPH will die Forschung deshalb weiterführen und hat bereits ein Folgeprojekt beantragt. Unternehmen, die sich an der Weiterentwicklung des Workcam-Systems beteiligen möchten, sind stets willkommen und können sich beim IPH melden. FÖRDERHINWEIS Das IGF-Vorhaben 19343 N der Forschungsvereinigung Gesellschaft für Verkehrsbetriebswirtschaft und Logistik e. V. (GVB) wurde über die AiF im Rahmen des Programms zur Förderung der Industriellen Gemeinschaftsforschung (IGF) vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) aufgrund eines Beschlusses des Deutschen Bundestages gefördert. Grafiken/Fotos: IPH Autoren: Sebastian Brede, M. Sc., ist Projektingenieur am Institut für Integrierte Produktion Hannover (IPH) gGmbH. Julius Gohlke, M. Sc., ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Fabrikanlagen und Logistik (IFA) der Leibniz Universität Hannover. Susann Reichert, B. Eng., ist PR-Referentin am Institut für Integrierte Produktion Hannover (IPH) gGmbH www.workcam.iph-hannover.de Zuverlässig Fördern: Komplett-Lösungen von Habasit Erst die richtige Auswahl perfekt abgestimmter Komponenten macht aus einem Transportband genau Ihre Logistik-Lösung: Besuchen Sie uns: Halle 1 / A08 • optimal angepasste Oberflächen • individuelle Fertigung • vielfältiges Zubehör für Bänder und Zahnriemen Habasit GmbH info.de@habasit.com www.habasit.de Habasit – Solutions in motion
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