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f+h fördern und heben 7-8/2022

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f+h fördern und heben 7-8/2022

PRODUKTE UND SYSTEME In

PRODUKTE UND SYSTEME In Anlehnung an die Norm Ladungssicherung Äh!? DEM DILEMMA BEI DER KENNZEICHNUNG VON ZURRSYSTEMEN DEN GARAUS MACHEN Darf man Produkte, die das GS-Prüfzeichen und gleichzeitig den Zusatz „in Anlehnung an die Norm“ tragen, verwenden, als seien sie nachweislich sichere Produkte oder Arbeitsmittel? Die Antwort lautet: Ja! Doch der Hinweis „in Anlehnung“ sorgt für Unbehagen. Es ist Zeit, über die Hintergründe zu informieren, die heutige Norm zu interpretieren und sie bei nächster Gelegenheit anzupassen. Es geht um die EN 12195-2. Sicherheitstechnische Anforderungen an Zurrgurte für die Ladungssicherung resultieren grundsätzlich aus der EN 12195-2. Diese Norm sieht vor, dass die Vorspannkraft (Standard Tension Force, STF) eines Zurrmittels mit einer üblichen Handkraft (Standard Hand Force, SHF) von 50 daN ermittelt wird. Das heißt konkret: Für z. B. einen Zurrgurt mit 50 mm Nennbreite wird mit einer Handkraft von 50 daN eine Vorspannkraft von 500 daN erzeugt. Handkraft und Vorspannkraft werden auf dem Label ausgewiesen. Damit allein ist das Produkt noch nicht normgerecht, denn bei der Vorspannkraft sind Unter- und Obergrenzen einzuhalten. Die Norm sieht vor, dass die mit der besagten Handkraft erzeugte Vorspannkraft mindestens zehn Prozent der maximalen Zurrkraft (Lashing Capacity, LC) erreichen muss und maximal 50 Prozent erreichen darf. Gurte aller Hersteller mit Nennbreiten von 50 (und auch 35) mm müssen diese Forderungen erfüllen. Die mit einer Handkraft von 50 daN erzeugte Vorspannkraft liegt für Systeme mit einer Zurrkraft von 2.500 daN vielfach zwischen 250 und 500 daN. Im konkreten Beispiel liegen die besagten Werte bei 50 bzw. 2.500 daN. Das bedeutet: Die Vorspannkraft liegt oberhalb der zehn Prozent und erreicht den maximal zulässigen Wert von 50 Prozent Systemfestigkeit von 2.500 daN. Das Produkt entspricht der Norm und ist bezüglich der Vorspannkraft GS-fähig. 25 MM BREITE ZURRSYSTEME: VERUNSICHERUNG BEI HERSTELLERN UND ANWENDERN Bei unterschiedlichen Nennbreiten von Zurrsystemen (25, 35, 50, 75 mm) nimmt die EN 12195-2 keine Differenzierung der Standard- Handkraft von 50 daN vor. Es leuchtet jedoch ein und ist durch Praxisversuche hinreichend belegt, dass das Aufbringen einer Standard-Handkraft von 50 daN auf den schmalen 25-mm-Ratschen („Miniratschen“) aus ergonomischen Gründen unmöglich ist. Ihre Griffe sind i. d. R. nicht mit der kompletten Hand zu umfassen. Daher hat sich für diese Ratschen nach Testreihen die Anwendung einer Handkraft von 25 daN als sinnvoll und akzeptabel erwiesen. Doch die Norm sieht das nicht vor, der beschriebene Anwendungsfall wurde bei der Erarbeitung der Norm seinerzeit nicht ausreichend berücksichtigt. 38 f+h 2022/07-08 www.foerdern-und-heben.de

PRODUKTE UND SYSTEME 01 02 03 Die fehlende Differenzierung der Handkräfte für die unterschiedlichen Nennbreiten von Zurrsystemen oder für unterschiedliche Größen von Ratschen ist kein sicherheitstechnisches Problem. Aber sie birgt Schwierigkeiten bei der Anwendung der Norm. An dieser Stelle besteht seit längerem Änderungsbedarf. ZLS: VORSPANNKRAFT FÜR SCHMALE GURTE MIT 25 STATT MIT 50 daN ERMITTELN Die Zentralstelle der Länder für Sicherheitstechnik (ZLS) hat längst reagiert. In Hinblick auf das Prüf- und Zertifizierungsverfahren zur (freiwilligen) Erlangung des GS-Zeichens hat der zuständige Prüfstellen-Erfahrungsaustauschkreis der ZLS bereits vor längerer Zeit nach eingehender Beratung festgelegt, dass die Vorspannkraft der 25 mm breiten Zurrgurte mit 25 daN Handkraft zu ermitteln ist. Und nicht wie in der Norm mit Fokus auf die 50 mm breiten Zurrgurte festgelegt mit 50 daN. Dieses Verfahren ist für alle Prüfstellen, die eine GS-Prüfung und Zertifizierung von Zurrgurten anbieten, einheitlich anzuwenden. VIELFACH ANGEWANDT, UM UNZULÄNGLICH­ KEITEN IN NORMEN ZU BEHEBEN Dies mag auf den ersten Blick manchen Leser verwundern. Doch nach den Worten von Markus Jakobi, DGUV Test, ist das eine „oft angewandte Verfahrensweise der GS-Prüfstellen, um Unzulänglichkeiten wie auch Lücken in Normen zu beheben oder technische Weiterentwicklungen, die normenseitig noch nicht erfasst sind, der Möglichkeit einer sicherheitstechnischen Bewertung zuzuführen.“ Letztlich handelt es sich vielfach um Maßnahmen, die den Zeitraum bis zu einer notwendigen Überarbeitung der betreffenden Norm überbrücken. Normen werden alle fünf Jahre hinsichtlich ihrer Überarbeitungsbedürftigkeit überprüft. Findet sich jedoch im zuständigen europäischen Normungsgremium keine ausreichende Mehrheit oder ein dringendes Erfordernis für eine Überarbeitung, so wird die Gültigkeit der betroffenen Norm i. d. R. zunächst für weitere fünf Jahre bestätigt. Wie das in der Praxis aussieht, soll ein weiteres Beispiel verdeutlichen: In diesem Fall lässt sich mit der Handkraft von 25 daN eine Vorspannkraft von 140 daN realisieren. Hierzu Jakobi: „Das Produkt erfüllt den wesentlichen Punkt: Bei der im abgestimmten Prüfgrundsatz der GS-Prüfstellen festgelegten Handkraft von 25 daN liegt die erzeugte Vorspannkraft normgerecht unterhalb von 50 Prozent der höchstzulässigen Zurrkraft. Das Produkt darf folglich das GS-Prüfzeichen tragen und zum Niederzurren eingesetzt werden. Aber aus formalen Zurrkraft Gründen nur mit dem Hinweis: In Anlehnung an die Norm.“ Vorspannkraft Warum in Anlehnung? Weil die geltende EN 12195-2 normativ vorsieht, dass – anders als im Handkraft ZLS-Beschluss vorgegeben – die Zurrkraft mit einer Handkraft von 50 daN ermittelt wird. Was 01 Ausweis der STF (Standard Tension Force) und LC (Lashing Capacity) auf dem Label eines vom TÜV Rheinland zertifizierten Zurrsystems 02 Einsatz einer „Miniratsche“ zum Niederzurren 03 Zertifizierung eines leichten Zurrsystems durch die DGUV „in Anlehnung“ an EN 12195-2 bedeutet dies für unser Beispiel? Die derzeit gängige Praxis sieht so aus, dass leichte Zurrsysteme auf dem Etikett oftmals keine Handkraft ausweisen, um dem 25-50-daN-Dilemma zu entgehen. Doch Vorsicht! Ohne Angaben zur Handkraft auf dem Etikett sind die Systeme laut Norm nicht zum Niederzurren zugelassen. Will man den Gurt zum Niederzurren verwenden, ist der Hinweis „In Anlehnung an die Norm“ Pflicht. Und genau das führt zu Irritationen. Käufer, Anwender und amtliche Prüfer geben sich damit vielfach zufrieden. Aber nicht jeder! Zwar signalisiert das GS-Prüfzeichen die nachgewiesene und zertifizierte Sicherheit des Produkts, jedoch sorgt die Formulierung „in Anlehnung an die Norm“ für Konfusion und im ungünstigen Fall sogar zur Ablehnung des Produkts. Das ist ebenso verständlich und bedauerlich wie unnötig. DIE DARAUS RESULTIERENDE FORDERUNG Damit leichte Zurrmittel, die generell für den sicheren Einsatz im Straßenverkehr geeignet und zugelassen sind, ohne den verwirrenden „In-Anlehnung“-Zusatz ein GS-Prüfzeichen tragen dürfen, muss die EN 12915-2 geändert werden. Wir brauchen eine Norm, die die Handkraft der Gurte gemäß ihrer Konstruktion differenziert betrachtet und bei den schmalen und ergonomischen Gurten einen Wert von 25 daN für die Prüfung vorsieht. Dann würde ohne produktionstechnische Änderung auf dem administrativen Weg aus einem Produkt, das bisher nur „in Anlehnung an die Norm“ in den Verkehr kommt, nunmehr ein Produkt mit GS-Prüfzeichen ohne irritierenden Zusatz. Und das wollen Hersteller, Anwender und Prüfer gleichermaßen. Autor: Werner Glasen, Produktmanager der SpanSet GmbH & Co KG, Übach Palenberg Fotos: Aufmacherfoto stock.adobe.com/Bearbeitung VFV Layout, 01 – 03 SpanSet www.spanset.com Wichtige Kräfte im Zusammenhang mit Ladungssicherung Lashing Capacity Standard Tension Force Standard Hand Force LC STF SHF Maximale Kraft, die in ein Zurrmittel eingeleitet werden darf (Belastbarkeit des Zurrgurtes) Die Kraft, die durch die Handkraft erzeugt wird und im Zurrmittel wirkt Die Kraft, die der Anwender zum Spannen der Ratsche ausübt www.foerdern-und-heben.de f+h 2022/07-08 39 Quelle: SpanSet