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f+h fördern und heben 8/2025

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IMPULSEVOM DIGITALEN

IMPULSEVOM DIGITALEN SCHATTEN ZUM DIGITALEN ZWILLING DER PRODUKTIONMATERIALFLÜSSE ANALYSIEREN UNDVERSCHWENDUNG REDUZIERENDigitale Zwillinge werdenoft mit aufwendigen3D-Visualisierungen vonProduktionsanlagen assoziiert.Für die Optimierung vonWertströmen reicht das jedochnicht. Entscheidend sindMaterialfluss, Bestände undVerschwendung zwischenden Prozessen.Der digitale Schatten bildet Wertströme auf Basis von historischenPlan- und Ist-Daten ab. Der digitale Zwillingerweitert dieses Modell um Simulationen und Echtzeitanpassungen.So können Unternehmen ihre Produktionsabläufeganzheitlich darstellen und verbessern. Ein methodischesVorgehen in fünf Schritten – von der Zieldefinition bis zumzukünftigen Wertstromdesign – verwandelt Produktionsdaten inkonkrete Verbesserungen.Der digitale Zwilling zählt zu den Schlüsselkonzepten von Industrie4.0. Häufig ist er mit eindrucksvollen Darstellungen verknüpft,etwa mit animierten 3D-Modellen von Robotern, Förderbändernoder ganzen Produktionsanlagen. Diese Visualisierungensind zwar attraktiv, für die Logik der Wertstromoptimierungjedoch unzureichend. Entscheidend bleibt, wie das Materialfließt, welche Bestände zwischen den Prozessen liegen und woVerschwendung entsteht.DIGITALER SCHATTEN – DIE VORSTUFEDie Vorstufe zum digitalen Zwilling ist der digitale Schatten, derein Abbild der Wertströme auf Basis von Vergangenheitsdatenaus MES-, ERP- oder Sensordaten erzeugt. So wird sichtbar, wieProdukte durch die Produktion gelaufen sind und wo Engpässe,Wartezeiten oder Bestände aufgetreten sind.Dieser Ansatz ähnelt der klassischen Wertstromanalyse, diefrüher meist nur als Momentaufnahme bei einzelnen Produktengenutzt wurde. Da Wertströme in der Praxis selten isoliert stehen,war die Aussagekraft begrenzt. Die digitale Wertstromanalysebaut dagegen ein Gesamtmodell aller Wertströme eines Unternehmensoder einer Fabrik auf.DIGITALER ZWILLING – DYNAMISCHES ABBILDDer digitale Zwilling geht über den Schatten hinaus: Er bildet dieAbläufe dynamisch ab, simuliert Nachfrage- und Prozessänderungen,passt sich in Echtzeit an und schafft so die Voraussetzungenfür die Optimierung aller Wertströme. Damit ist der digitale Zwillingdem klassischen Wertstromdesign ähnlich – erweitert um Datenbasisund Echtzeitanalyse – und eröffnet die Möglichkeit, einunternehmens- oder fabrikweites Optimum zu definieren.IN FÜNF SCHRITTEN ZUM DIGITALEN ZWILLINGDER WERTSTRÖMEUnternehmen, die ihre Wertströme mit einem digitalen Zwillingganzheitlich optimieren wollen, können einem Vorgehen in fünfSchritten folgen. Das Beispiel eines Herstellers für Luftfahrtteilezeigt, wie das in der Praxis aussieht.Schritt 1: Kick-off und ZieldefinitionUm fundierte Projektziele zu definieren, schafft ein Kick-off-Workshop zunächst ein solides Grundverständnis der Ausgangslage.In diesem Rahmen werden Kundenbedarfe und Bedarfsschwankungenanalysiert, woraufhin Ziele wie die Senkung derDurchlaufzeiten festgelegt werden.01 Beispielhafte Visualisierung von Materialmengen aneinem Arbeitsplatz über den Zeitraum von circa 1,5 Jahren10 f+h 2025/08 www.foerdern-und-heben.de

02 Beispielhafte Datenauswertung und automatischer Exportin PowerPoint mit dem Digital-Value-Stream-DesignerIm Beispiel des Luftfahrtteile-Herstellers zeigtesich, dass Bedarfsschwankungen aufgrund vonAuftragsvorlaufzeiten, Produktportfolio und Bestellmengenkaum ins Gewicht fielen und daherfür die Optimierung vernachlässigt werdenkonnten.Schritt 2: Datensammlung und CleansingIm zweiten Schritt werden die erforderlichenDaten aus ERP- und MES-Systemen gesammeltund bereinigt. Damit diese korrekt interpretiertwerden können, ist es entscheidend, die zugrundeliegenden Buchungslogiken zu verstehen– etwa bei Gemeinkosten, Nacharbeit oderMaschinen- und Mitarbeiterstunden.Im Beispiel fiel auf, dass Gemeinkosten ausschließlichauf eine Abteilungskostenstelle zurückgemeldetwurden. Zudem war Nacharbeituneinheitlich verbucht und teilweise als Produktivarbeitgekennzeichnet.Schritt 3: Daten auswerten (Data Mining)Anschließend beginnt das eigentliche DataMining: Daten werden analysiert, Kundenaufträgerückverfolgt und Prozessverbindungenvisualisiert. So entsteht ein digitaler Schattender Wertströme mit realen Durchlaufzeiten undBeständen. Das Beispiel zeigt vier zentrale Ergebnisse: Nur rund 75 Prozent der Rückmeldedaten ausERP- und MES-Systemen waren valide; 25 Prozentwaren fehlerhaft oder leer, die Visualisierung der realen Routings offenbarteAbweichungen vom Soll-Arbeitsplan, Durchlaufzeiten ließen sich berechnen und Bestandsverläufe wurden transparent.Schritt 4: Ergebnisse interpretierenDie Analyse zeigt Liegezeiten und Bestände inder kompletten Produktion auf. Sie macht deutlich,wie Dispositionsverhalten und Terminjagdenden Produktionsfluss beeinträchtigen. Diekorrekte Interpretation dieser Daten ist erfolgskritischfür die Wertstromoptimierung.Im Beispiel zeigten sich Nacharbeitsquotenvon mehr als 40 Prozent in bestimmten Werkstätten– bedingt durch geringe Stückzahlen undeine unzureichende Industrialisierung. Auchwenn diese Nacharbeit unvermeidbar schien,ergab sich ein großes Verbesserungspotenzialdurch bewusste Einplanung und kontinuierlicheOptimierung.Häufig reagieren Mitarbeiterinnen und Mitarbeiterzunächst skeptisch oder ablehnend aufsolche Ergebnisse. Organisationen sollten daherdas Bewusstsein für kontinuierliche Verbesserungfördern und das Personal aktiv in die Analyseeinbinden, um Akzeptanz zu schaffen.Schritt 5: Design des zukünftigen WertstromsIm letzten Schritt wird der digitale Schattendurch einen digitalen Zwilling ersetzt. Der zukünftigeWertstrom kann entweder radikal übereinen „Nordstern“ definiert oder schrittweiseausgehend vom Status quo entwickelt werden.Ziel ist es, konkrete Maßnahmen zur Reduktionvon Verschwendung und zur Stabilisierung derProduktion zu planen und deren Wirkung im digitalenZwilling messbar zu machen.Im Beispiel des Zulieferers bestand die wichtigsteMaßnahme in der Entkopplung von Teilwertströmenund der Lagerfertigung von Zwischenerzeugnissen,die in mehreren Produkteneingesetzt werden. Dadurch ließ sich die Steuerungkomplexer Varianten verbessern und dieGesamtdurchlaufzeit deutlich senken.FAZITDer digitale Zwilling der Wertströme ist weitmehr als eine eindrucksvolle Visualisierung: Erist ein Instrument der strategischen, kontinuierlichenProduktionsverbesserung. Aus Daten werdenkonkrete Maßnahmen, Verschwendung wirdreduziert, Prozesse werden stabilisiert – und dieProduktion wird nachhaltig leistungsfähiger.Autor: Dr. Jochen Schlick, Senior Partner & Co-FounderNeonex Industry Performance GmbH, StuttgartFoto/Grafiken: Neonexwww.neonex.deAutomatischesFrische-,Trocken- undTiefkühllagerINTRALOGISTIKGENERAL-UNTERNEHMERwww.klinkhammer.com