RUBRIZIERUNGSEBENE „MIT DATENTRANSPARENZ FÄNGT ALLES AN“ Seit mehr als 30 Jahren ist Steffen Dieterich in verschiedenen Positionen bei Hörmann Intralogistics zu Hause. In dieser Zeit hat der Geschäftsführer der Hörmann Intralogistics Solutions GmbH, München, auch viele Projekte für kleine und mittlere Unternehmen (KMU) in verantwortlicher Position realisiert. Im Interview geht Dieterich auf die Knackpunkte bei der Realisierung eines Automatisierungs- und Digitalisierungsprojekts ein und gibt Empfehlungen für eine erfolgreiche Umsetzung. Herr Dieterich, Automatisierung und Digitalisierung in der Intralogistik sind wichtige Trends. Wie schätzen Sie die aktuelle Bereitschaft von KMU ein, diese Technologien zu implementieren? Steffen Dieterich: Nahezu alle ambitionierten Mittelständler beschäftigen sich mit Automatisierung. Was verstehen Sie unter ambitionierten Mittelständlern? Steffen Dieterich: Das sind Firmen mit einem starken Fokus auf Wachstum. Diese Unternehmen investieren in erster Linie in Automatisierung, um die Qualität in ihrer Logistik zu verbessern, also zum Beispiel die Pick-Fehler zu reduzieren. Darüber hinaus nehmen Unternehmen aus dem E-Commerce-Bereich Geld für automatisierte Intralogistiksysteme in die Hand. Nur so können sie langfristig die Anforderungen des Markts nach zum Beispiel kurzen Reaktionszeiten erfüllen. Welche Hausaufgaben müssen die Unternehmen machen, bevor Sie ein Automatisierungsprojekt angehen? Steffen Dieterich: Da sprechen Sie einen wichtigen Punkt an. Ein Automatisierungsprojekt setzt voraus, dass man seine Prozesse versteht und das wiederum erfordert Datentransparenz. Zu Datentransparenz gelangt man nur mithilfe einer Software. Daher sind Automatisierungsprojekte immer auch Softwareprojekte. 24 f+h FOKUS KMU 2024 www.foerdern-und-heben.de
F+H NACHGEFRAGT AUTOMATISIERUNG UND DIGITALISIERUNG Können die Firmen die Prozesse so beschreiben, dass Sie als GU damit arbeiten können? Steffen Dieterich: Manch ein Unternehmen tut sich in der Tat schwer, die eigenen Prozesse zu beschreiben. Die Ursache dafür liegt in den vielfach noch papierbasierten Abläufen. Ferner haben sich die Prozesse im Laufe der Jahre eingeschliffen. Wer wenn nicht die Mitarbeiter in Materialfluss und Lager kennen die Abläufe aus dem Effeff? Das Bio-Wissen gilt es rechtzeitig zu sichern. Ansonsten sind spätestens, wenn die entsprechenden Mitarbeiter die Firma verlassen, Probleme vorprogrammiert. Steffen Dieterich: Bio-Wissen – ein schöner Begriff, den muss ich mir merken. Aber Sie haben vollkommen Recht. Die feste Definition der Prozesse ist einer der riesigen Vorteile der Automatisierung. In Bezug auf die Abläufe in Materialfluss und Lager gibt es keinen Wildwuchs. Welche Herausforderungen sehen Sie bei Automatisierungsprojekten für kleinere und mittlere Unternehmen im Vergleich zu großen Konzernen? Steffen Dieterich: Zum einen sorgt die Finanzkraft eines Konzerns für einen großen Unterschied. Jede Automatisierung kostet schließlich Geld. Vor allem im augenblicklichen konjunkturellen Tief hinterfragen KMU Investitionsentscheidungen. Zum anderen verfügen KMU in der Regel nicht über eine interne Planungsabteilung. Das heißt, wenn ein Automatisierungsvorhaben umgesetzt wird, dann übernehmen Mitarbeiter die damit verbundenen Aufgaben parallel zu ihrem Tagesgeschäft. Und dann ist da noch die Herausforderung des Umgangs und der Interpretation mit Daten. Aus den Daten aus der Vergangenheit gilt es, Rückschlüsse für die Zukunft zu ziehen. Zu den Fragen, die es zu beantworten gilt, gehören: wie entwickeln sich in der Zukunft die Auftragsstrukturen? Werden die Auftragszeilen größer? Fallen mehr Picks pro Auftragszeile an? Wie können Sie Firmen bei der Datenerhebung und -auswertung unterstützen? Steffen Dieterich: Unsere Vertriebsabteilung übernimmt diese Aufgaben. Egal, ob die Anfrage von einem Logistikplaner oder direkt vom Kunden kommt, überprüfen wir immer die uns zur Verfügung gestellten Daten. Wir verifizieren, ob das Konzept, das ausgeschrieben ist, den Anforderungen entspricht. Das bedeutet, wir analysieren die Bewegungsmengen, Palettengrößen und Auftragsstrukturen genau. So überprüfen wir zum Beispiel, ob viele ein- oder mehrposige Aufträge vorliegen, was wiederum Einfluss auf die Pufferplätze vor den Kommissionierarbeitsplätzen hat. Diese gründliche Datenanalyse ist für uns essenziell, bevor wir ein Konzept oder Angebot erstellen. Welche Maßnahmen ergreifen Sie, um die Voraussetzungen für Datensicherheit und -konformität Ihrer Intralogistiksysteme zu schaffen? Steffen Dieterich: Datensicherheit ist für uns ein zentrales Thema. Vor etwa vier Jahren haben wir uns nach dem Tisax-Standard zertifizieren lassen, der ursprünglich aus der Automobilbranche stammt und sehr hohe Anforderungen an Datenschutz und Datensicherheit stellt. Seitdem haben wir viele Prozesse geändert, vom Zutrittsschutz zu unseren Räumlichkeiten über die Zwei- Phasen-Authentifizierung für den VPN-Zugang bis hin zur Überprüfung aller installierten Softwareprodukte durch unsere IT- Abteilung. Wir haben auch einen Informationssicherheitsbeauftragten ernannt, der sich ausschließlich um die Informationssicherheit kümmert und interne Audits durchführt, um sicherzustellen, dass alle Abteilungen den definierten Prozessen folgen. Diese Trennung von Datenschutz und Informationssicherheit ist bewusst gewählt, um die Voraussetzungen zu schaffen, dass beide Bereiche die notwendige Aufmerksamkeit erhalten. Die kontinuierliche Weiterbildung und Anpassung an aktuelle Risiken sind essenziell, um den Datenschutz sicherzustellen. Welche Entwicklungen und Trends in der Automatisierung und Digitalisierung der Intralogistik sehen Sie als vielversprechend für KMU? Steffen Dieterich: Ein bedeutender Trend ist die Nutzung von künstlicher Intelligenz in Verbindung mit unserem Warehouse Management System HiLIS. Ein Beispiel ist eine Molkerei, die mithilfe der KI und unseres WMS die Produktionsplanung optimiert. Die KI analysiert Versanddaten unter Berücksichtigung AUTOMATISIERUNGSPROJEKTE SIND IMMER AUCH SOFTWAREPROJEKTE von Faktoren wie Jahreszeit, Wetter und Feiertagen, um den Bedarf zu prognostizieren. Auf Basis dieser Daten kann die Molkerei die Produktion entsprechend anpassen. Außerdem sehen wir skalierbare Lagersysteme und autonome mobile Roboter als zunehmend beliebt. Diese Systeme lassen sich flexibel an die sich verändernden Anforderungen anpassen, ohne den Betrieb zu unterbrechen. Bei traditionellen Lagersystemen mit Regalbediengeräten sind oftmals längere Beeinträchtigungen des Tagesgeschäfts unvermeidbar. Auch Robotiklösungen, hauptsächlich Pick-Roboter, werden in Zukunft eine größere Rolle spielen, da sie körperlich herausfordernde Kommissioniertätigkeiten übernehmen können. Welche Rolle spielen dabei Kooperationen mit Technologieanbietern? Steffen Dieterich: Kooperationen sind für uns als Systemintegrator von zentraler Bedeutung. Kein Unternehmen kann alles allein entwickeln. Daher arbeiten wir eng mit Spezialisten zusammen, die sich auf bestimmte Produkte fokussieren. Wir entwickeln Ideen und Konzepte und integrieren dann die passenden Produkte in ein Komplettsystem, das von einer übergreifenden Software gesteuert wird. Unsere Kunden merken die Schnittstellen zwischen den verschiedenen Systemen nicht, weil wir das für sie übernehmen. Wir pflegen enge und vertrauensvolle Partnerschaften mit Herstellern von fahrerlosen Transportsystemen, Roboterherstellern und sind Integrationspartner von AutoStore. In dem Zusammenhang kommen unsere Kompetenzen als Systemintegrator zum Tragen, indem wir sicherstellen, dass alle Komponenten nahtlos zusammenarbeiten und die Anlagenbetreiber die Vorteile der Automatisierung und Digitalisierung voll ausschöpfen können. Vielen Dank für das Gespräch. Das Interview mit Steffen Dieterich, Geschäftsführer der Hörmann Intralogistics Solutions GmbH, München, führte Winfried Bauer, Chefredakteur f+h Foto: Hörmann Intralogistics www.hoermann-intralogistics.com www.foerdern-und-heben.de f+h FOKUS KMU 2024 25
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